SSSSSSS...

Als der Steuerberater sagte, man könne auch über Geldanlage , nachdenken (er ist ebenso klug wie vorsichtig, mein Steuerberater), fiel mir das ,,Ssss..." von Herrn Unger ein. Herrn Oberstudienrat Ungers Ssssss..." war besonders eindrucksvoll. Er zog es durch seine oberen Schneidezähne, die ein wenig auseinander standen, hinein. Und ließ es mit seinem Atem auch wieder hinauszischen. Zwischen Ein- und Ausatmen hatten wir im Chor Zeit, vom Chaos in völlige Ruhe und größte Konzentration zu gelangen. Ich hasste Herrn Ungers Ssss...“, weil es oft mir galt. Aber Herr Unger war wer, obwohl richtig gute Dirigenten ganz auf das „Ssss..." verzichten. Ein früheres Sssss... war jenes, das Großvater dann hören ließ, wenn er, Fliege spielte: Ich hatte dann die Augen zugekniffen und mit dem sich nähernden oder entfernteren Ssss...ahnte ich, wie nah oder fern Großvaters Zeigefinger sich einer meiner Körperstellen näherte - bevor er dann mit bedrohlichem Crescendo auf einen ungeahnten Landeplatz zwischen Bauchnabel oder Fußsohle piekte. Großvater`s Ssss...liebte ich. Das neue Ssss...in meinem Leben kommt von dem wachsenden Windmühlenpark bei Bode/Arendorf. Es ist bei zweieinhalb Windrichtungen bis Beaufort 2 oder 3 gut zu hören. Leider. Es hat so gar keine Ähnlichkeit mit Großvaters saison, schlimmer ist: Es verändert die Ähnlichkeit meiner Umgebung radikal. Kein Foto der letzten 100 Jahre von unserer Ecke hier stimmt mehr. Geschweige alte Aquarelle von alten Meistern oder neue von Werner Steinbrecher - alles muss neugemalt werden. Mit den riesigen Flügeln, unter denen man keinen Schutz Gottes mehr suchen sollte, wo gerade einer umkippte im Norden. (Gottes Flügel kippten nie.) Und erst die Dichtkunst, die die Gegend hier bisher hervorbrachte ("lauschige Haine" und „Stille der Winde") - alles Makulatur. Von wegen „ewige Schönheit“: Die Heidewortmalereien von Löns und Uecker, von Decker--na, ja, ist egal jetzt. Alles egal. Alles muss neu geschrieben werden. Die künftigen Dichter fangen mit dem „Ssss..." der Windmühlen-Rotoren an und werden sie mit dem Windhauch opfern, der früher mal Symbol des Hl. Geistes war. Moderne Heidedichter werden in ihrer Internet-Lyrik die roten Warn-Blinklichter der Masten bei Nacht als Motiv wählen und die Glühwürmchen darunter übersehen. Und unsere Baumkronen, wenn sie wippen, schwanken oder im Sturm rauschen, werden nicht konkurrieren können mit der Bewunderung, welch Bewegungen Rotoren doch haben können. Es klappert die Mühle am rauschenden Bach-dahin, vorbei! Es „Sssst..." sich durch die Lande und Wilhelm Bremer aus Allenbostel, Zwangs-Nachbar der neuen Rotoren, dichtet ein letztes Mal: Winde wehen, Flügel drehen, ist gar lustig anzusehen. Mancher ärgert sich darüber, hätte sie woanders lieber. Doch das Geld lockt auch so sehr hätten lieber noch viel mehr. Nur kein Neid! Nur kein Streit! Auch der Wind hat seine Zeit. Ich werde meinem Steuerberater folgen jedenfalls verdienen will ich an diesem Unglück. So Gott, der den Wind immerhin weiter macht, will. 22.02.2002